Thomas von Aquin ist zweifellos der bedeutendste Theologe des Abendlandes. In seiner "Summe der Theologie" wird die gesamte Gottes-, Welt- und Menschenordnung durchdacht. Mit welcher Genauigkeit das geschieht, wird hier an einem Absatz über Positives und Negatives der Liebe belegt (II, 28,5):
Ist die Liebe eine versehrende Leidewegung im Liebenden?
Abhandlung. 1. Scheinbar ist die Liebe eine schadende Leidewegung. Die Schwermut (languor) bezeichnet nämlich eine Art Beschädigung im Schwermütigen. Nun aber verursacht die Liebe Schwermut: es heißt nämlich im Hohen Lied 2, 5: "Stärket mich mit Blüten, labet mich mit Äpfeln, denn krank vor Liebe bin ich." Also ist die Liebe eine schadende Leidewegung.
2. Ferner, Zerschmelzung (liquefactio) ist eine Art Auflösung. Nun aber macht die Liebe zerschmelzen: es heißt nämlich Hohes Lied 5, 6: "Meine Seele ist dahingeschmolzen, als mein Geliebter redete." Also ist die Liebe auflösend. Sie bringt also Verderbung und Versehrung.
3. Ferner, Glut (fervor) bezeichnet eine gewisse Ausschreitung in der Warmheit, und zwar ist dies Ausschreitung verderblich. Nun aber wird die Glut aus der Liebe verursacht: Dionysius führt nämlich 7. Cael. Hier. unter anderen Eigentümlichkeiten, die zu der Liebe der Seraphim gehören an: "das Warme" und "das Scharfgespitzte" und "das Überglühende". Und Hohes Lied 8, 6 heißt es von der Liebe, "ihre Leuchten sind Feuerflammen und Lohe". Also ist die Liebe eine schädliche und verderbliche Leidewegung.
Aber dagegen spricht, was Dionysius 4. De Div. Nom. sagt: "Das Einzelne liebt sich zusammenhaltig (contentive)", das heißt erhaltig (conservative). Also ist die Liebe nicht eine schädige, sondern eher eine erhaltige und vervollkommnende Leidewegung.
Ich antworte: Wie oben (26, 1f., 27,1) gesagt, bezeichnet die Liebe eine gewisse Anpassung der begehrhaften Wirkkraft an irgend ein Gut. Nichts aber, das an etwas angepaßt wird, was zu ihm stimmt, wird eben dadurch versehrt: vielmehr macht es eher einen Fortschritt und wird besser. Was dagegen an etwas angepaßt wird, was nicht zu ihm stimmt, wird gerade dadurch versehrt und verschlechtert. Die Liebe eines zukömmlichen Gut ist als für den Liebenden auf Vervollkommnung und Verbesserung gerichtet: die Liebe zu einem Gut aber, das nicht auf den Liebenden stimmt, hat die Eigenschaft, den Liebenden zu schädigenden und schlechter zu machen. Im höchsten Grade findet deswegen der Mensch seine Vervollkommnung und seine Verbesserung in der Liebe zu Gott (...).
Zur Liebe aber gehört, dass die Begehr sich einer gewissen Hereinnahme des geliebten Gut anpaßt, wie ja doch das Geliebte im Liebenden ist, wie bereits oben (Art. 2) gesagt wurde. Deswegen ist die Erstarrung oder Verhärtung des Herzens eine der Liebe sich widersetzende Zurüstung. Dahingegen besagt die Verflüssigung eine gewisse Auflockerung des Herzens, mit welcher sich das Herz gefügig erweist, dass das Geliebte mählich hineintreten kann.-
Wenn also das Geliebte gegenwärtig und in Besitz ist, so wird Freuung oder die Genußfreude (fruitio) verursacht. Ist es aber nicht da, so folgen zwei Leideheiten: nämlich die Traurigkeit über die Abwesenheit, die durch "Schwermut" angezeigt wird (...); und das angestrengte Verlangen nach dem Gewinn des Geliebten, das durch die "Glut" bedeutet wird.-
Weitere Untersuchungen der Liebe in II, 26 (Die Leidewegungen der Seele im besonderen: Die Liebe, 1. Art.: Gibt es die Liebe im Begehrmut? 2. Art.: Ist die Liebe eine Leidewegung? 3. Art.: Ist Liebe (amor) und Gernhaben (dilectio) dasselbe? 4. Art.: Wird die Liebe richtig in die Freundschaftsliebe und die Begehrliebe eingeteilt?) Bei Interesse an einer dieser Fragestellungen kann hier ergänzt werden
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Letzte Aktualisierung: Fr, 26. Okt, 16:45
Am Ende des Kreises ist...
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